Newsletter 11/23: Interview mit Markus Lewe

Der Präsident des Deutschen Städtetages zur Situation der Innenstädte

Mut zum Wandel

Herr Lewe, vor welchen besonderen Herausforderungen stehen Innenstädte in der heutigen Zeit?

Die Innenstädte unterliegen einem tiefgreifenden Wandel und werden ihr Gesicht verändern. Gerade dort, wo in den vergangenen Jahrzehnten das Einkaufen im Mittelpunkt stand, ist das unübersehbar: Geschäfte, selbst in hochwertigen Lagen, stehen leer. Kaufhäuser und Einkaufszentren suchen nach neuen Nutzungen. Der große Boom des Einzelhandels ist vorbei. Diese Entwicklung ist im vollen Gange und lässt sich nicht zurückdrehen. Dafür ist das Online-Angebot zu stark geworden, nicht zuletzt während der Corona-Pandemie: Es ist einfach und bequem vom Sofa zu Hause aus zu shoppen. Natürlich kämpfen wir um alteingesessene Einzelhändler. Sie verleihen der Innenstadt das individuelle Bild und sind meist Fachgeschäfte. Dadurch wird die Innenstadt als Einkaufsort attraktiv. Wir wissen aber auch, dass das allein nicht mehr ausreicht.

Was sind die Konsequenzen?

Klar ist: Handel wird nicht überall durch Handel ersetzt werden können. Es wird weniger Geschäftsflächen geben. Das ist eine Herausforderung, denn jahrzehntelang war das Einkaufsangebot der zentrale Anreiz in vielen Innenstädten. Der Wandel bietet aber auch eine große Chance. Während der Lockdowns in den vergangenen Jahren haben wir alle deutlich gespürt, dass wir soziale Begegnung und Erlebnisse brauchen. Das ist etwas, was man nicht einfach so durch ein Online-Angebote ersetzen kann. Daraus ergeben sich neue Möglichkeiten für eine attraktive Innenstadt, auch für die Vermieter von früheren Handelsflächen.

Was für kurz- und langfristige Maßnahmen können Städte ergreifen, um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken?

Es geht darum, in der Stadtmitte Erlebnisse zu schaffen, die es anderswo nicht gibt. Wir wollen lebendige Plätze für Jung und Alt, für Familien, zum Leben und zum Wohnen. Wir wollen, dass der öffentliche Raum Freiraum bietet, auch für Erholung und Regeneration. Und wir wollen Kultur, Bildung und Arbeiten miteinander verbinden. Frische Ansätze gibt es bereits jetzt in vielen Städten, wo kurzfristig neue Nutzungen für aufgegebene Großkaufhäuser gefunden worden sind und auch Experimentierräume entstehen. Darüber hinaus werden in vielen Städten neue Konzepte entwickelt, etwa um Bibliotheken, Kitas, Schulen und Unistandorte in die Stadtmitte zu holen. Denn das belebt zentrale Lagen. Auch Co-Working-Spaces, Werkstätten von Handwerkern und Popup-Stores und nachhaltige, regionale Produkte bringen mehr Vielfalt. Mehr Grünflächen, verbunden mit Sportmöglichkeiten und Plätzen für Entspannung, machen die Zentren nicht nur attraktiver, sondern auch widerstandsfähiger gegen den Klimawandel. Darüber hinaus muss es möglich werden, dass wieder mehr Menschen im Zentrum wohnen können. Warum also nicht Theaterbühne, Handwerk und Wohnungen unter ein Dach bringen? Um dabei voranzukommen, sind Bund und Länder in der Pflicht, die Städte mit den etablierten Förderprogrammen zur Stadtentwicklung zu unterstützen und diese weiter auszubauen. Denn die Mittel in den kommunalen Haushalten sind knapp. Es muss auch rechtlich deutlich einfacher werden, Geschäftshäuser in Wohnraum oder gemischt genutzte Gebäude umzuwidmen. Bisher ist das immer noch ein bürokratisch aufwändiger Akt. Dabei ist gerade die Umnutzung bestehender Immobilien ein Beitrag für mehr Nachhaltigkeit: Wo weniger neu gebaut und stattdessen saniert wird, sparen wir Rohstoffe und produzieren weniger schädliche Klimagase. Und es spart Geld, weil Bau- und Materialpreise hoch sind.

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Zuletzt geändert am 23. November 2023