CHANCEN 2/23: Comeback

Nach einigen Jahren in der weiten Welt zieht es viele Menschen zurück in die alte Heimat. Eine Geschichte über vier Oldenburgerinnen und Oldenburger, die zurückgekehrt sind.

Zurückgekommen, um zu bleiben

Bis vor wenigen Jahren war am Steinweg 6 noch ein Blumengeschäft. Im Oktober 2021 öffnete hier das ORTO Bistro Bakery seine Türen. Die Oldenburgerin Neele Müller und ihr Partner Hannes Flade erarbeiteten sich hier mit Sauerteigbroten und Gebäcken aus echter Handarbeit, Naturweinen und wechselnden Mittagsgerichten binnen kurzer Zeit einen Kreis an Stammgästen.

Nach dem Abitur reist Neele Müller zunächst als Flugbegleiterin um die Welt, später studiert sie Ernährungswissenschaften in Gießen. Es folgt ein Jahr im Münchner Cateringunternehmen von Holger Stromberg, damals Koch der deutschen Fußballnationalmannschaft der Männer. Dort lernt sie auch Hannes Flade kennen. Beim Ausrichten von Supper Clubs in ihrer Münchner Wohnung erproben die beiden sich als Team, entdecken, was Ihnen bis heute Freude bereitet: für Fremde kochen und Gastgeber sein.

Dass sie bald nach Oldenburg zurückkehren möchte, wusste die 33-Jährige schon damals sehr genau. „Ich habe tolle Kindheits- und Jugenderinnerungen an die Stadt und war auch danach immer regelmäßig zu Besuch, denn ich bin einfach der totale Familienmensch.“ Argument genug für Hannes Flade, ihr zu folgen. Nach Stippvisiten in Mainz und Südafrika reift in Oldenburg schließlich die Idee eines eigenen Ladens heran. Immer im Fokus: die gemeinsame Leidenschaft für kompromisslose Qualität.

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Ein Ort für Familie

Auch Tobias Brokop war schon im Gehen klar, dass er eines Tages zurückkehren wird. Der Steuerberater lebte und arbeitete unter anderem in Göttingen und Köln. Vor allem seine Zeit bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC beschreibt er rückblickend als wegweisend. Dennoch halten er und seine Frau Dr. Rieke Lesch-Brokop, heute niedergelassene HNO-Ärztin in Wiefelstede, stets am Heimathafen Oldenburg fest. „Wir kennen uns seit der Schulzeit und haben immer alle Entscheidungen zusammen getroffen“, erzählt der 40-Jährige.

2014 kehrt das Paar schließlich zurück. „Junger Steuerberater sucht Kanzlei zur Übernahme“ – per Chiffre-Anzeige in der Zeitung bahnt sich Brokop in den folgenden Jahren den Schritt in die Selbstständigkeit. Heute ist die Kanzlei Matisheck, Brokop & Deelwater eine der größten reinen Steuerkanzleien der Stadt. Seit Brokops Einstieg vor sechs Jahren hat sich die Zahl der Mitarbeitenden mehr als verfünffacht.

Manchmal wirkt Oldenburg auf Tobias Brokop noch immer wie ein Stadtteil in Köln – „nur leider ohne die lebhafte Kneipenszene“, bedauert er. Dass er und seine Frau Oldenburg dennoch schätzen, steht außer Frage. Zur Hochzeit reisen Freunde aus ganz Deutschland an. „Als wir ihnen unsere neue alte Heimat zeigten, ist uns bewusst geworden, wie schön es hier eigentlich ist. Im Alltag verliert man manchmal den Blick dafür.“

Sein Lieblingsplatz in Oldenburg? Brokop muss nicht lange überlegen: „Ganz klar die Zuschauertribüne bei den Heimspielen des VfB. “Vor über 30 Jahren entdeckte er seine Leidenschaft für den Oldenburger Fußball, damals noch mit seinem Großvater im alten Donnerschwee-Stadion. Als Jugendtrainer beim TuS Eversten gibt er seine Leidenschaft für Fußball heute an die nächste Generation weiter. Und seinem eigenen Nachwuchs, sieben und vier Jahre sowie elf Monate alt, gibt er eine Kindheit, wie er sie selbst so sehr geschätzt hat: stets behütet, in einem Haus mit großem Garten, die Großeltern nur wenige Fahrradminuten entfernt.

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Ein Ort für Kreativität

Dass Oldenburg der perfekte Ort zur Familiengründung ist, war auch für die studierte Industrie- und Kommunikationsdesignerin Jessica Nebel ein Faktor für die Rückkehr in die Heimatstadt – ein Gedanke, der sich jedoch erst mit der Zeit entwickelte. Nach mehr als 15 Jahren Berufserfahrung in Agenturen und Unternehmen in London, München und Stuttgart, darunter bei Steelcase, der weltgrößten Designfirma für Büromöbel, gründet sie 2019 gemeinsam mit ihrem Partner Umur Sener die Designagentur Neongrey.

Den Wunsch nach Selbstständigkeit hegt Nebel schon immer. Dass die eigene Firma ihren Sitz einmal im beschaulichen Oldenburg haben würde, war jedoch nicht geplant. Zu verlockend war das Leben in der Großstadt, zu vielschichtig die Möglichkeiten, die sich dort boten. Heute, nach fast 20 Jahren in der weiten Welt, weiß Jessica Nebel die Vorzüge Oldenburgs zu schätzen. „Die Prioritäten verschieben sich, wenn man Familie hat. Man denkt zurück an die eigene Kindheit und erkennt, dass Oldenburg dahingehend einfach lebenswert ist.“

Bei Neongrey bieten Nebel und Sener Produktdesign, UX/UI Design und Branding für Firmen an. Ihre Affinität zu Design und Ästhetik ist seit kurzem für jeden sichtbar in der Oldenburger Innenstadt. Im Rahmen des aus EU- und Landesmitteln geförderten Projekts „Häusings in der Haarenstraße“ ließ die Stadt Oldenburg im Frühjahr 2023 elf historische Traufgassen unter dem Leitmotiv „Wasser, Licht und Illusion“ künstlerisch gestalten. In dreien findet sich heute die kreative Handschrift von Jessica Nebel und Umur Sener wieder. „Ich liebe es ohnehin, in der Innenstadt unterwegs zu sein. Dort trifft man immer jemanden, den man kennt – eine weitere schöne Eigenschaft an Oldenburg“, berichtet Nebel. „Dass wir nun genau hier aktiv mitgestalten und unseren künstlerischen Fingerabdruck hinterlassen durften, freut mich sehr.“

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Ein Ort für Zukunft

Seine Heimatstadt mitgestalten und dadurch zukunftsfähig aufstellen will auch Hendrik Ressel. Im Sommer 2022 übernahm er das Immobilienunternehmen Ressel-Haus von seinem Vater. Im Gepäck jede Menge fachliches Know-how aus Groningen, Hamburg und München.

Ein Thema, das den studierten Betriebswirt beruflich stark geprägt hat und bei Ressel-Haus zunehmend in den Fokus rückt, ist das Schaffen altersgerechter Wohnkonzepte. „In meiner Zeit in München habe ich als Projektentwickler viel Erfahrung in diesem Bereich gesammelt. Die kann ich nun in Oldenburg anwenden“, erzählt Ressel, der zudem Geschäftsführer einer vollstationären Pflegeeinrichtung in Wüsting ist. An Oldenburg schätzt der 31-Jährige vor allem den direkten Draht zwischen den einzelnen Akteurinnen und Akteuren – ein klarer Unterschied zu seiner Zeit in Großstädten. „Wer eine kluge Idee hat, ist schnell vernetzt und bekommt dadurch einen größeren Handlungsspielraum als etwa in München. Hinzu kommt, dass die Leute zu ihrem Wort stehen. Der gute alte ‚hanseatische Handschlag‘ zählt hier noch.“

An das Bauen der Zukunft hat Ressel klare Vorstellungen. Es gilt, neue Wohnformen zu forcieren und den Wohnungsmarkt an die sich wandelnden Bedarfe der Menschen anzupassen. Bauprojekte müssen nachhaltiger und einkommensorientierter konzipiert, Innenstädte nicht mehr allein als Einkaufszentrum, sondern auch als Wohn- und Begegnungsort gedacht werden. Das Umdenken, das in größeren Städten bereits angekommen ist, spürt Ressel auch in Oldenburg. „Die Stadt will wachsen und denkt schon jetzt groß. Wir sind auf einem sehr guten Weg. Zu tun gibt es aber noch genug.“ Für ihn eine willkommene Herausforderung.

Um eine Stadt voranzubringen, sind Impulse von außen essenziell. Das gab ihm schon sein Vater mit auf den Weg. „Er hat mich damals ermuntert, erst einmal über den Tellerrand zu schauen, bevor ich ins Familienunternehmen einsteige. Rückblickend der richtige Schritt.“

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Ein Ort für Neuanfänge

Konzepte von außen beleben eine Stadt und machen sie ein Stück weit metropoliger. Das zeigt das ORTO im Steinweg in Perfektion. Die Einflüsse, die Neele Müller und Hannes Flade aus ihrer Zeit in deutschen und internationalen Großstädten mitgenommen haben, ist in jedem ihrer Produkte spürbar. Ihren Job als Flugbegleiterin hat Müller übrigens bis heute nicht aufgegeben. Am Anfang fiel ihr der räumliche Abstand noch schwer, inzwischen genießt sie die Arbeit in der weiten Welt und sieht sie als zusätzliche Inspirationsquelle.

„Hätte ich Oldenburg nicht verlassen, wäre das ORTO nicht so geworden, wie es heute ist“, ist sich Neele Müller sicher. Und wünscht sich, dass mehr ehemalige Oldenburgerinnen und Oldenburger es ihr und anderen Rückkehrenden gleichtun. „Nehmt das, was ihr da draußen gelernt habt, und bringt es in Oldenburg ein. Wer mit einem guten Konzept zurückkommt, egal in welcher Branche, kann unsere Stadt nur bereichern.“ Und damit die Menschen, die in ihr leben.

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Zuletzt geändert am 21. November 2023