Editorial

Stilles Lesen als Gemeinschaftserfahrung

Im Oktober habe ich die Frankfurter Buchmesse besucht. Vom Gastlandauftritt der Philippinen ging ich Donnerstag weiter zur neuen Center Stage. An diesem zweiten Messetag, der nach wie vor nur für Menschen aus der Branche geöffnet ist, kam ich auf meinen Wegen über das Gelände gut voran. Ganz anders sah es am Folgetag aus, als ich dicht getaktet Termine bei den Literaturverlagen wahrnahm. In vielen Hallen und Gängen war ein Vorankommen kaum möglich. Das Interesse des Publikums wird von Jahr zu Jahr größer. Die Messe reagiert darauf mit einem wachsenden Angebot für Fans, für Leserinnen und Leser. Die Anzahl der Karten musste in diesem Jahr sogar erstmals limitiert werden. Immerhin steht die Frankfurter Buchmesse nach der Corona-Pause wieder recht stabil da. Der Buchhandel verzeichnet sogar Zuwächse, und für die steigenden Verkaufszahlen ist besonders die Generation der 16- bis 29-Jährigen verantwortlich. Auch für junge Menschen dieser Altersklasse gab es deshalb wohl nicht zufällig ein riesiges Angebot. Neben dem geschäftigen Treiben wurde Freitagvormittag ein Silent Reading für alle angeboten, die ganz in Ruhe einfach nur lesen wollten. In Oldenburg finden seit einiger Zeit an besonderen Orten ebenfalls sogenannte Reading-Partys statt, die meist von jungen Leuten besucht werden. Sie bringen ihre eigenen Bücher mit, kommen zusammen, und dann tauchen alle in die leise Lektüre ein. Stilles Lesen als Gemeinschaftserfahrung klingt für mich paradiesisch. Weniger paradiesisch ist die Tatsache, dass die Zahl der stationären Buchhandlungen stetig weiter abnimmt, obwohl sogar mehr Bücher verkauft werden. Auf der neuen Center Stage wurde Donnerstagnachmittag der Preis für das Lieblingsbuch des unabhängigen Buchhandels verliehen. Nicht von der Literaturkritik wurden die Titel der Shortlist vorgestellt, sondern fachkundig und mit viel Leidenschaft von Buchhändlerinnen und Buchhändlern, die zudem das festlich gestimmte Publikum dominierten. Als der Siegertitel genannt wurde, rief die Frau auf dem Platz neben mir gleich ihre nicht mitgereisten Kolleginnen und Kollegen an, um ihn in hoher Auflage bestellen zu lassen. Allen, die dort nicht nur das ausgezeichnete Buch, sondern mit der Entscheidung auch sich und ihre wertvolle Arbeit feierten, möchte ich in den kommenden Jahren auf der Messe wiederbegegnen. Bitte, liebe Leserinnen und Leser, kaufen Sie deshalb Bücher in den gut sortierten unabhängigen Buchhandlungen Ihrer Stadt. Auch dort wird jeder Titel für Sie bestellt, der gerade im Ladengeschäft nicht vorrätig ist – nach einer freundlichen, persönlichen und sehr analogen Beratung.

Ed

Zuletzt geändert am 13. November 2025