Wild – Transgender and the Communities of Desire

04.04.2017

Wild – Transgender and the Communities of Desire

Oldenburg. Das Edith-Russ-Haus für Medienkunst zeigt vom 6. April bis 18. Juni die internationale Gruppen-ausstellung „Wild – Transgender and the Communities of Desire“. Sie versammelt aktuelle Kunstwerke, die sich mit den Fragen und Herausforderungen des Lebens und der Communities (Gemeinschaften) von Transgendern beschäftigen.

Die Ausstellung bezieht sich auf das Konzept des „Wilden“, entwickelt von dem Wissenschaftler Jack Halber-stam. Es beschreibt, wie die Komplexität des sozialen Geschlechts die Aufteilung der Gesellschaft nach männlich und weiblich beständig infrage stellt. Die Ausstellung fordert dazu auf, das komplexe soziale Geschlecht nicht als etwas Problematisches anzusehen, sondern als wildes Spektrum menschlicher Möglichkeiten. So erinnert Halberstam daran, dass der Begriff des Wilden andere Gesellschaftsmodelle zulässt: andere Erzählungen, wie ein Leben grundsätzlich sein kann. Auf diese Weise kann an den Rändern der Gesellschaft – in diesem Fall durch die Stimmen, Strategien und Perspektiven von transgeschlechtlichen Menschen – eine starke und wirkungsvolle Kritik an althergebrachten Gesellschaftsbildern entstehen.

Die einzelnen Werke in „Wild – Transgender and the Communities of Desire“ hinterfragen heteronormative gesellschaftliche Strömungen und weisen zugleich auf das Potential anderer Formen von Gemeinschaft und Intimität hin – nicht nur für Menschen an den Rändern der Gesellschaft, sondern als Bereicherung aller. Die von den Werken in „Wild“ erdachten Gemeinschaften basieren auf den Werten von Freundschaft, gegenseitiger Unterstützung und geteilter Sehnsucht – im Gegensatz zu Wettbewerb, Überleben und den Zwängen von Produktion und Konsum.

Im Rahmen der Ausstellung kooperiert das Edith-Russ-Haus mit dem Christopher Street Day Nordwest in Oldenburg, der am 17. Juni – am Finissagewochenende der Ausstellung – stattfinden wird. Zum CSD wird der Eintritt in die Ausstellung frei sein.

Die Ausstellung wird von der Stiftung Niedersachsen und dem Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur gefördert.

Kuratoren: Edit Molnár und Marcel Schwierin

Beteiligte Künstlerinnen und Künstler:
Pauline Boudry und Renate Lorenz, Zanele Muholi, Doireann O’Malley, Johannes Paul Raether, Chris E. Vargas

In der Videoinstallation „I Want“ der beiden Künstlerinnen Pauline Boudry und Renate Lorenz sitzt die Per-formerin und US-amerikanische Künstlerin Sharon Hayes in einem verlassenen Discoraum und spricht und liest einen Text. Der Text ist ein Plagiat, entstanden aus Romanen der Punk-Schriftstellerin Kathy Acker (1947-1997) sowie aus Auszügen aus Chats und Reden der Whistleblowerin Chelsea Manning. Manning, die als Transfrau lebt, wurde 2013 für die Weitergabe militärischer Dokumente an die Enthüllungsplattform Wikileaks zu 35 Jahren Haft verurteilt. Kathy Acker praktizierte das Plagiieren bewusst als literarische Technik und wurde dafür mehrfach verklagt. Die Performerin Sharon Hayes tritt sowohl als Acker als auch als Manning auf und verwebt deren Textfragmente zu einer emanzipatorischen Geste gegen den imperialen Krieg. In Ihrer Performance verschmelzen die beiden Charaktere zu einer neuen Identität.

Die Fotoserie „Faces and Phases“ der Fotografin Zanele Muholi zeigt schwarz-weiße Portraits der südafrika-nischen lesbischen Community. Muholi begann Ihre Portraitserie mit dem Ablichten schwarzer lesbischer Frauen sowie Transfrauen aus den Townships von Südafrika. Das Projekt ist eine Reaktion auf ein anhaltendes homophobes und transphobes Umfeld in Südafrika. Muholi erweiterte die Serie mit der Zeit um Fotos aus verschiedenen Ländern. Zu sehen sind Frauen verschiedenen Alters und unterschiedlicher Hintergründe, die stolz und selbstbewusst der Kamera entgegentreten. „Faces and Phases“ ist eine Würdigung ihres Kampfes um ein selbstbestimmtes Leben.

Die irische Künstlerin Doireann O’Malley – Stipendiatin der Stiftung Niedersachsen am Edith-Russ-Haus von 2016 – untersucht in ihrem Film „Prototypes“ in einem experimentellen Verfahren die Dimensionen einer Transformation von Frau zu Mann. Die Protagonistinnen beziehungsweise Protagonisten befinden sich in unterschiedlichen Stadien ihrer geschlechtlichen Transformation. Mithilfe von Methoden aus der Traumanalyse beschreibt O’Malley die individuellen Erfahrungen und Facetten der Transformationsprozesse der drei Personen. „Prototypes“ ist ein filmisches Experiment über transmännliche Identitätsbildung, über Sexualität, Begehren und Körperlichkeit.

Die Installation „Transformella“ des Künstlers Johannes Paul Raether beschäftigt sich mit Zukunftsvisionen menschlicher Fortpflanzung. Die künstliche Figur Transformella, die Königin der Trümmer, ist die Protagonistin der Arbeit. Sie begibt sich als eine Art Forschungsavatar an Orte, an denen bereits industrialisierte Formen menschlicher Fortpflanzung erprobt werden, wie zum Beispiel durch Leihmütter in Indien. Mit der Frage nach den Möglichkeiten gemeinschaftlich organisierter Fortpflanzung und Elternschaft bildet „Transformella“ im Rahmen der Ausstellung einen futuristischen Ausblick auf ein mögliches menschliches Fortbestehen.

Das „Museum für Transgender Hirstory & Art (MOTHA)“ ist ein imaginäres Museum, gegründet von dem Künstler Chris E. Vargas. Sein Ziel ist es, den Anteil von Transgender-Personen an Geschichtsschreibung und Kunst-/Kulturproduktion sichtbar zu machen. Das MOTHA findet in Form von verschiedenen Veranstaltungen wie Ausstellungen, Aufführungen und  Podiumsdiskussionen, aber auch satirischen Aktionen statt und befindet sich in ständiger Überarbeitung. Vargas möchte damit eine kritische Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Museumspraktiken fördern, in denen Transgenderkünstlerinnen und -künstler regelmäßig unterrepräsentiert sind. Er stellt außerdem die Frage, wie eine zusammenhängende Geschichtsschreibung von Transgenderpersonen und -gemeinschaften aussehen kann. Im Rahmen der Ausstellung wird das MOTHA als Studienraum präsentiert.