Oldenburg. Deborah Esther Lipstadt ist die Preisträgerin des Carl-von-Ossietzky-Preises 2018 der Stadt Oldenburg für Zeitgeschichte und Politik. Der mit 10.000 Euro dotierte Preis wird der in Atlanta, US-Bundesstaat Georgia, lebenden Historikerin aufgrund des einstimmigen Votums einer unabhängigen Jury am Freitag, 4. Mai, im Rahmen eines Festaktes in Oldenburg von Oberbürgermeister Jürgen Krogmann verliehen. Die Laudatio hält Fernsehjournalist Thomas Roth, ehemaliger Leiter des ARD-Studios New York und „Tagesthemen“-Moderator.
Deborah Esther Lipstadt (70) ist eine der international bedeutendsten Holocaust-Forscherinnen. Für Aufsehen sorgte in den Jahren 1996 bis 2000 ihr gewonnener Rechtsstreit mit dem Holocaust-Leugner David Irving. 2016 wurde der spektakuläre Gerichtsprozess in einer international erfolgreichen amerikanisch-britischen Kinoproduktion verfilmt.
Die Jury schreibt in ihrer Begründung: „Die Stadt Oldenburg verleiht im Jahr 2018 ihren Carl-von-Ossietzky-Preis an Professorin Dr. Deborah Esther Lipstadt aufgrund ihres konsequenten und unerschrockenen Einsatzes für die historische Wahrheit und die Menschenwürde. Ihre wissenschaftliche Arbeit ist getragen von dem tiefen Bewusstsein der gesellschaftlichen und politischen Verantwortung jedes einzelnen Menschen. In der Auseinandersetzung mit Leugnern des Holocaust hat Deborah Esther Lipstadt ein eindrückliches Zeichen für die Kraft der Vernunft und des rationalen, auf Aufklärung gerichteten Diskurses gesetzt. Ihr fortgesetztes Auftreten gegen öffentlich verbreitete Lügen und Unwahrheiten ist ein ermutigendes Beispiel von Zivilcourage.“
Der fünfköpfigen Jury gehören an die Literaturwissenschaftlerin Professorin Dr. Sabine Doering (Carl von Ossietzky Universität Oldenburg), der Journalist und Autor Dr. Gunter Hofmann (DIE ZEIT, Berlin), Friedrich-Wilhelm Kramer, ehemals Direktor des NDR-Landesfunkhauses Schleswig-Holstein, freier Journalist und Lehrbeauftragter für Medien und Politik in Riga und Hamburg, der Soziologe Professor em. Dr. Dieter Rucht (Freie Universität Berlin) sowie der Historiker Professor Dr. Martin Sabrow, Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam und Professor für Neueste Geschichte und Zeitgeschichte an der Humboldt Universität zu Berlin.
Zur Person
Deborah Esther Lipstadt wurde am 18. März 1947 als Tochter einer jüdischen Einwandererfamilie geboren. Ihre Mutter stammt aus Kanada, der Vater wanderte bereits in den 20er Jahren aus Deutschland in die USA ein. Lipstadt studierte in New York und wurde 1976 an der Brandeis University in Massachusetts mit einer Arbeit über Louis Lipsky promoviert. Nach Lehraufträgen für Geschichte und Religion an den Universitäten in Los Angeles und Washington ist sie seit 1993 Dorot Professorin für Moderne Jüdische Geschichte und Holocaust-Studien an der Emory University in Atlanta. Von 1998 bis 2008 war sie Direktorin des von ihr dort gegründeten Instituts für Jüdische Studien. Ihre Arbeiten über Antisemitismus, den Eichmann-Prozess und die Rolle der amerikanischen Medien während des Zweiten Weltkriegs, insbesondere aber über die Geschichte der Holocaustleugnung haben sie international bekannt gemacht. Es folgten Gastprofessuren an renommierten Universitäten in- und außerhalb der USA.
Lipstadt wurde in verschiedene Beiräte und Gremien berufen, so auch von Präsident Clinton und von Präsident Obama in den United States Holocaust Memorial Museum Council. Dort war sie auch als Mitglied des Executive Commitee tätig und leitete das Educational und Academic Committee des Museums. 2005 gehörte sie auf Wunsch von Präsident George W. Bush der Delegation des Weißen Hauses zum 60. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz an.
Lipstadt ist bereits mehrfach ausgezeichnet worden. Im Januar 2018 wurde sie in Amsterdam mit dem Annetje-Fels-Kupferschmidt-Preis geehrt und hielt den mit dem Preis verbundenen 15. „Nie wieder Auschwitz“-Vortrag (Nooit Meer Auschwitz Lezing). 2006 erhielt sie für ihr Buch „History on Trial: My Day in Court with a Holocaust Denier“ den National Jewish Book Award. Darüber hinaus wurde sie zur Ehrendoktorin der Ohio Wesleyan University, des John Jay College of Criminal Justice, der Yeshiva University, der Bar Ilan University, des Jewish Theological Seminary und des Hebrew Union College ernannt.
Der Prozess Irving gegen Lipstadt
1996 verklagte der britische Holocaustleugner David Irving Lipstadt und ihren britischen Verlag nach Veröffentlichung ihres 1993 erschienenen Buches „Denying the Holocaust“ wegen Beleidigung und übler Nachrede. Gemäß britischem Recht oblag Lipstadt die Beweislast. Nach mehrjähriger Prozessdauer wies das Londoner Gericht Irvings Klage ab und gab Lipstadt und ihrem Verlag recht. Eine juristische Verfolgung von Holocaustleugnung lehnt Lipstadt jedoch ab, da dem Bestreiten der Verbrechen nur über die Auseinandersetzung mit historischer Wahrheit und nicht mit der Einschränkung der Redefreiheit beizukommen sei.
Verfilmung
Der spektakuläre Prozess Irving gegen Lipstadt, der Holocaustleugnung als Lügenkonstrukt aufdeckte, führte 2016 zu der amerikanisch-britischen Kinoproduktion „Verleugnung“ mit Rachel Weisz als Deborah Lipstadt und Timothy Spall in der Rolle von David Irving unter der Regie von Mick Jackson. Seit April 2017 war der Film in deutschen Kinos zu sehen.
Medienpräsenz
Deborah Lipstadt ist in den amerikanischen Medien vielfältig präsent und regelmäßig Gast in verschiedenen Fernsehformaten. Sie schreibt unter anderem für die Washington Post und die New York Times und wird dort häufig zitiert. Des Weiteren ist auf sie auf Facebook aktiv. Lipstadt analysiert dabei die gezielte Vermengung von Tatsachen, Meinungen und Lügen, um antisemitische, rassistische, sexistische und rechtspopulistische Haltungen und Strategien transparent zu machen. Darüber hinaus bezieht sie Stellung zur weltpolitischen Lage und zur aktuellen amerikanischen Innen- und Außenpolitik. Mit Hinweis auf die zunehmende „Softcore“-Leugnung – die Trivialisierung der Vernichtung – auch in höchsten Regierungskreisen, warnt sie vor den zugrundeliegenden subtilen Taktiken und Mechanismen. Dies zeige sich zum Beispiel auch am Nichterwähnen der Vernichtung der Juden anlässlich des Holocaust-Gedenktages am 27. Januar 2017 in einer Erklärung des Weißen Hauses, wie Lipstadt in der Zeitschrift „The Atlantic“ argumentiert.
Der Carl-von-Ossietzky-Preis
Der Carl-von-Ossietzky-Preis für Zeitgeschichte und Politik wird von der Stadt Oldenburg seit 1984 alle zwei Jahre für Arbeiten, Gesamtwerke oder an Personen vergeben, die sich in herausragender Weise mit Leben und Werk Ossietzkys, dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus und der demokratischen Tradition und Gegenwart befassen oder die sich im Geiste Ossietzkys mit Themen der Politik und Zeitgeschichte auseinandersetzen.
Weitere Informationen sind im Internet unter www.ossietzky-preis.de zu finden.
Langfassung der Jury-Begründung:
Der Carl-von-Ossietzky-Preis der Stadt Oldenburg des Jahres 2018 wird der amerikanischen Historikerin und Holocaustforscherin Prof. Dr. Deborah Esther Lipstadt zuerkannt. Die Wissenschaftlerin setzt sich konsequent und unerschrocken für die historische Wahrheit und die Menschenwürde ein. Dieser Einsatz und ihre wissenschaftliche Arbeit sind getragen von dem tiefen Bewusstsein der gesellschaftlichen und politischen Verantwortung jedes einzelnen Menschen.
In der Auseinandersetzung mit Leugnern des Holocaust hat Deborah Esther Lipstadt ein eindrückliches Zeichen für die Kraft der Vernunft und des rationalen, auf Aufklärung gerichteten Diskurses gesetzt. Ihre wissenschaftliche Darstellung der Holocaustleugnung, die 1994 auf Deutsch („Betrifft: Leugnen des Holocaust“) erschien, fand große internationale Aufmerksamkeit. Der Prozess eines bekannten britischen Holocaustleugners, den Deborah Esther Lipstadt eindrucksvoll gewann, wurde zum Thema einer international erfolgreichen Kinoproduktion mit dem Titel „Verleugnung“ (englischer Titel „Denial“) und eines Buches von Eva Menasse mit dem Titel „Der Holocaust vor Gericht“.
Das fortgesetzte Auftreten von Deborah Esther Lipstadt gegen öffentlich verbreitete Lügen und Unwahrheiten ist ein ermutigendes Beispiel von Zivilcourage.