Oldenburg. Ermöglicht durch die Stiftung Niedersachsen vergibt das Edith-Russ-Haus für Medienkunst jedes Jahr drei sechsmonatige und mit jeweils 10.000 Euro dotierte Arbeitsstipendien. Diese gehen in diesem Jahr an: Viktor Brim für das Projekt „Practical Fiction“, Mario Pfeifer für die Installation „Zelle 5 – 800 °Celsius“ sowie Kim Schoen für die Realisierung von „Baragouin“. Insgesamt hatten sich 436 Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt für die Stipendien beworben, um ihre eingereichten Werke am Edith-Russ-Haus umsetzen zu können. „Wir haben in diesem Jahr eine Rekordzahl an Bewerbungen erhalten. Gleichzeitig war die ganze Jury beeindruckt von der hohen Qualität der Projektvorschläge“, sagen die beiden Leiter des Edith-Russ-Hauses, Edit Molnár und Marcel Schwierin, die mit Nav Haq, Senior-Kurator am M HKA (Antwerpen), und Monika Szewczyk, Direktorin des De Appel (Amsterdam), die Jury bildeten. Während einige gemeinsame Themen und Tendenzen erkennbar waren, wurde die endgültige Auswahl aufgrund der Sorgfalt der Recherche, der ästhetischen Qualität und der Klarheit der Vision der individuellen Künstlerinnen und Künstler getroffen.
Über die Projekte
Der Projektvorschlag „Practical Fiction“ von Viktor Brim verbindet die Rohstoffpolitik in der Sowjetunion unter Josef Stalin und im Russland Wladimir Putins anhand der Diamantenmine Mir in Jakutien, Sibirien. Der Künstler konzipiert eine Ausstellung mit einem Film, den er dort drehen wird, und einer neuen Publikation mit seinen Archivrecherchen über die sowjetische und russische Rhetorik, ergänzt mit weiteren Materialien. Brims bemerkenswerte filmische Arbeit betrachtet die Auswirkungen verschiedener Regime auf die sibirische Landschaft, lädt aber auch zur Reflexion über Rohstoffausbeutung im weltweiten Maßstab ein.
Mario Pfeifer führt in seiner neuen Installation „Zelle 5 – 800 °Celsius“ die Untersuchung ungeklärter Vorfälle rund um den gewaltsamen Tod von Menschen fort, die in Deutschland Zuflucht suchten. Bereits in der Videoinstallation „Again“ (2018) hatte er ein Tribunal anstelle eines Gerichtsprozesses inszeniert, der nie stattgefunden hat: für den Iraker Schabas Saleh Al-Aziz, der tot aufgefunden wurde, eine Woche bevor er als Zeuge gegen vier Männer aussagen sollte, die ihn misshandelt hatten. „Zelle 5“ wirft wiederum neue Fragen über den ungeklärten Feuertod des aus Sierra Leone stammenden Flüchtlings Oury Jalloh auf. Pfeifer aktiviert sein Publikum als Geschworene, während er zugleich die entscheidende Rolle von Medien und Vermittlung zur Bildung der gesellschaftlichen Meinung betont.
Kim Schoen, die sich in den letzten Jahren mit den Themen Unsinn und Wiederholung beschäftigt hat, markiert mit der experimentellen Installation „Baragouin“ (französisch für unverständliches Kauderwelsch) einen Wendepunkt in ihrem Schaffen. Sie verleiht Reproduktionen von Skulpturen eine Stimme, deren Ursprünge vom Buddhismus über Rokoko und Neoklassizismus bis zur Moderne reichen und plant mit ihnen eine „Nonsens-Oper“ aufzuführen. Gemeinsam mit einem Kunsthistoriker und einem Stimmtalent, das den Klang von Sprachen imitieren kann, wird „Baragouin“ die Skulpturen so präsentieren, als „redeten“ sie in Stimmen ihrer ursprünglichen Herkunft. Die kommerziellen Reproduktionen zusammen mit dem Echo von Sprachen halten der Museologie einen grotesken Spiegel vor.
Die Stiftung Niedersachsen fördert das Stipendienprogramm des Edith-Russ-Hauses seit 2001. Viele der in Oldenburg entstandenen Arbeiten wurden in internationalen Ausstellungen präsentiert und mit Preisen ausgezeichnet. Mit ihrer Förderung will die Stiftung Niedersachsen eines der führenden Häuser für Medienkunst in Deutschland nachhaltig stärken und seine an Qualität orientierte Profilierung unterstützen, um die Verwirklichung von Projekten zu ermöglichen, internationale Vernetzungen und lokale Anknüpfungspunkte zu schaffen.
Weitere Informationen mit den Jurybegründungen im Wortlaut gibt es im Internet unter www.edith-russ-haus.de/stipendien.