Oldenburg. Die ungarische Philosophin und Carl-von-Ossietzky-Preisträgerin des Jahres 2012 Ágnes Heller ist am Freitag, 19. Juli, während ihres Urlaubs am Balaton gestorben. Die bedeutende Intellektuelle und scharfe Kritikerin Viktor Orbáns wurde 90 Jahre alt. Den von der Stadt Oldenburg verliehenen Carl-von-Ossietzky-Preis erhielt sie „aufgrund ihrer Furchtlosigkeit, mit der sie zeitlebens unter wechselnden Regimen ihren eigenen Überzeugungen gefolgt ist. Als europäisch und kosmopolitisch denkende Intellektuelle gibt sie einem verängstigten Europa ein eindrucksvolles Beispiel“, so die Begründung der Jury 2012. Bei der Preisverleihung, dem Schülergespräch und der Podiumsdiskussion zum Thema „Demokratie und Freiheitsrechte in Ungarn“ beeindruckte sie nachhaltig mit ihren dezidierten Statements und Analysen zum Erstarken von Rechtspopulismus und Nationalismus.
Ágnes Heller wurde 1929 als Tochter jüdischer Eltern in Budapest geboren. Während ihr Vater und viele ihrer Verwandten und Freunde in der Zeit des Nationalsozialismus ermordet wurden, haben sie und ihre Mutter die Judenverfolgung knapp überlebt. 1947 legte sie am Jüdischen Gymnasium in Budapest ihr Abitur ab. Danach schrieb sie sich an der Universität Budapest für Physik ein, wechselte jedoch das Fach und studierte Philosophie bei Georg Lukács. Sie wurde Schülerin des marxistischen Philosophen, promovierte und arbeitete als Lukácz-Assistentin an der Universität. Nach dem Volksaufstand in Ungarn 1956 kam sie als Mitglied der kommunistischen Partei zunehmend mit der Parteiführung in Konflikt. 1958 wurde sie wegen „konterrevolutionärer Tätigkeiten“ und Ideen aus der Partei ausgeschlossen und mit Berufs- und Publikationsverbot belegt.
Zu Anfang der liberaleren 1960er Jahre durfte sie wieder in ungarischen Zeitschriften veröffentlichen, erhielt jedoch 1968 wegen ihres Protestes gegen die Besetzung der Tschechoslowakei durch den Warschauer Pakt erneut ein Publikations- und Reiseverbot. Es folgten Jahre der Repressionen, bis sie 1977 mit ihrem Mann, dem Philosophen Ferenc Fehér, und ihrem Sohn nach Australien emigrierte. Dort lehrte sie als Soziologieprofessorin an der La Trobe Universität in Melbourne. Anschließend übernahm sie als Nachfolgerin von Hannah Arendt den Lehrstuhl für Philosophie an der New School for Social Research in New York. Im Zuge der Wende 1989 kehrte sie in wieder nach Ungarn zurück, behielt aber einen Zweitwohnsitz in New York. In ihrem Heimatland engagierte sie sich entschieden gegen die rechtsnationale Politik Viktor Orbáns und seinen Umbau von Staat und Gesellschaft.
Ágnes Heller wurde mehrfach mit Ehrendoktorwürden geehrt und vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Lessing-Preis 1981 der Stadt Hamburg, 1995 mit dem Hannah-Arendt-Preis der Stadt Bremen und den Széchenyi-Nationalpreis (Ungarn), mit dem Sonning-Kulturpreis 2006 (Dänemark), dem Internationalen Willy-Brandt-Preis 2015 und dem Friedrich-Nietzsche-Preis 2019 des Landes Sachsen-Anhalt.
Die Stadt Oldenburg wird Ágnes Heller ein ehrendes Andenken bewahren.