Oldenburg. Wie sehen Kinder ihre Umgebung? Wie orientieren sie sich? In der Kinderliteratur wird sehr spielerisch mit dem Sehen umgegangen. Blicke werden gezielt gelenkt – etwa in den sequentiellen Formen des Erzählens, beispielsweise im Daumenkino, oder in der Zerstreuung des Blicks, wie im Wimmelbild. Für die Ausstellung „Augen-Blick. Orientierung in erzählten und realen Welten“ haben Kinder und Studierende mit dem Sehen und Wahrnehmen experimentiert. Entstanden ist eine vielfältige Ausstellung, die reale und erzählte Welten von Kindern und Jugendlichen erkundet und für Besucher erfahrbar macht. Dabei wird das Sehen und Wahrnehmen ausgelotet – sowohl in traditionellen als auch in neuen Medien wie interaktive Spiele, Trickfilmanimation und QR-Codes. Die Ausstellung wird von Sonntag, 6. November, bis Dienstag, 15. November, täglich in der Artothek, Peterstraße 1, von 10 bis 18 Uhr zu sehen sein.
Projekt Botanischer Garten: Wie orientieren sich Kinder in einer unbekannten Umgebung? Diese Frage stand im Mittelpunkt einer Lehrveranstaltung der Pädagogin PD Dr. Ines Oldenburg und des Kurators des Botanischen Gartens, Dr. Klaus Bernhard von Hagen. Die Studierenden beobachteten die Kinder zweier Grundschulklassen beim Besuch des Botanischen Gartens. Daraus entwickelten sie kindgerechte Lösungen für eine eigenständige Orientierung der Kinder, wie beispielsweise aufklappbare, fühlbare, und einfache aufgebaute oder zerknüllbare Orientierungspläne. Eine Auswahl der Pläne und interaktiven Spielobjekte zu Orientierungsstrategien sind in der Ausstellung zu sehen. Ausprobieren erlaubt!
Gleichzeitig und überall – Das Wimmelbild: Ali Mitgutsch hat 1968 für „Rundherum in meiner Stadt“ den Begriff Wimmelbilderbuch erfunden. Für ihr Wimmelbildprojekt haben Studierende der Universität Bürger und Bürgerinnen, Bekannte und Freunde gefragt, was sie am meisten in Oldenburg stört. Unter Leitung des Dozenten Thomas Robbers ist ein raumhohes Wimmelbild mit vielen Szenen entstanden, die von genervten Radfahrern, zügellosen Hunden und nervenden Busfahrten erzählen. Dazu wurden die Zeichnungen digital bearbeitet und animiert. Das fordert Orientierung vom Betrachter, denn nicht nur die Vielfalt der Szenen, sondern auch die Größe des Formats lassen Übersicht nicht auf einen Augen-Blick zu. Dabei helfen QR-Codes, die eingescannt vom Smartphone kleine Video-Clips zeigen und die Bilder filmisch weitererzählen.
Daumenkino – Zwischen Bewegung und Stillstand: Bei sequentiellen Erzählungen wird der Blick ganz absichtsvoll gelenkt. Das gilt für den Film, den Comic und ganz besonders für das Daumenkino, auch Flip-Book oder Taschenkino genannt. Das Daumenkino ist ein 200 Jahre altes Medium, das noch heute zwischen Einzelbild und Film, zwischen Stillstand und Bewegung seine ganz eigene Erzählweise entfaltet. Aber können mit dem alten Medium aktuelle Bilderbucherzählungen gestaltet werden? Diese Frage stellten sich Studierende unter Anleitung der Dozentin Sabine Wallach. In ihrer künstlerischen Arbeit ging es ihnen dabei nicht darum, die Geschichten der Bilderbücher nachzuerzählen, sondern einzelne Illustrationen als Impuls für eigene Assoziationen und Narrationen zu begreifen. Die sehr kurze Erzähldauer der Daumenkinogeschichten von zwei bis drei Sekunden zeigt, welche Bedeutung die Bildgestaltung für die Lenkung des Blicks, die Bildsprache für die Generierung von Bedeutung hat. Denn immer könnten die Geschichten mittels dieses historischen Mediums auch ganz anders erzählt werden.
Das Rahmenprogramm bietet zudem in folgenden Vorträgen eine neurologische Perspektive auf das Sehen und eine wissenschaftliche Sicht auf Bilder und Bücher:
Sonntag, 6. November, 11.15 Uhr, in der Kinderbibliothek am PFL, Peterstraße 1
Prof. Dr. Martin Greschner, Neurobiologe, Universität Oldenburg
„Die Welt im Auge des Betrachters“
Anstatt die Welt zu sehen, wie sie tatsächlich ist, konstruiert der Mensch seine Wirklichkeit. Anhand von kleinen Selbstversuchen wird erkundet, wie Erfahrung die Wahrnehmung formt und so die Orientierung in der Welt ermöglicht.
Dienstag, 8. November, 19 Uhr, Kinderbibliothek am PFL, Peterstraße 1
Prof. Dr. Bettina Uhlig, Kunstdidaktikerin, Uni Hildesheim
„DA, DA und DA.
Zum Zusammenhang von Imaginationsprofil und Bildkonzept bei der Betrachtung und Gestaltung von unübersichtlichen Bildern“
Es ist die Besonderheit von Bildern, dass alle Bildelemente unmittelbar und gleichzeitig ansichtig sind. Je dichter und detaillierter ein Bild ist, desto größer ist die Herausforderung, das Bild visuell wahrzunehmen. Kann nicht mehr alles auf den ersten Blick erfasst werden, was auf einem Bild zu sehen ist, dann wird es unübersichtlich. Wann ein Bild als unübersichtlich erfahren wird, ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich.
Der Vortrag thematisiert die Differenzen zwischen Kindern bei der Rezeption und Gestaltung unübersichtlicher Bilder auf der Grundlage diverser Imaginationsprofile und Bildkonzepte und entwickelt Überlegungen für einen differenzierten didaktischen Umgang mit unübersichtlichen Bildern.
Donnerstag, 10. November, 19 Uhr, Kinderbibliothek am PFL, Peterstraße 1
Prof. Dr. Jens Thiele, Münster
„Der unheimliche Raum.
Zur Fremdheit des Vertrauten im Bilderbuch“
Dem Bilderbuch ist das Unheimliche traditionell fremd. Erst mit der Wahrnehmung der kindlichen Psyche rückten auch Momente des Schreckens und der Verunsicherung ins Blickfeld der Bilderbuchkultur. Dabei spielt der unheimliche Ort (der Wald, das Haus, das Zimmer) eine wesentliche Rolle in den Erzählungen für Kinder. Auf welche bildnerischen und narrativen Konzepte des unheimlichen Raums stößt man heute im Bilderbuch? Reduzieren sie sich auf das furchteinflößende dunkle Kinderzimmer oder thematisieren sie (im Sinne Freuds Verständnis des Unheimlichen) das psychisch Ungewisse, Ambivalente, das zu instabilen Räumlichkeiten führt? Der Vortrag geht diesen Fragen an ausgewählten Buchbeispielen nach.
Augen-Blick. Orientierung in erzählten und realen Welten
28.10.2016
Augen-Blick. Orientierung in erzählten und realen Welten

Plakat: KIBUM