Oldenburg. Quantenschaum, Freier Fall, DNA der Milchstraße – diese Bildtitel verraten, dass es in der kommenden Ausstellung im Horst-Janssen-Museum um nichts Geringeres als das Universum geht. Vom 30. Januar bis 15. Mai 2022 zeigt das Museum für Zeichenkunst die Schau „Nanne Meyer: überAll. Von Punkthelligkeiten und Turbulenzmustern“. Meyers aktuelle Arbeiten kreisen um das Weltall und die Frage: Wo bin ich in der Welt verortet? Das Wissen der Astrophysik mit ihren Denkmodellen und Thesen auf der einen Seite, und auf der anderen der Versuch, das eigene Verhältnis zur Welt mit zeichnerischen Mitteln auszuloten, bilden das Spannungsfeld für „überAll“.
Die Künstlerin war erstaunt, als sie erfuhr, dass der Titel „Quantenschaum“, den sie einer Reihe von großformatigen Zeichnungen gegeben hatte, in der Astrophysik gebräuchlich ist. In ihren beeindruckenden Werken lässt sie große, weiße und gleichzeitig durchscheinende Kugeln vor schwarzem Grund aufleuchten. In diesen transparenten Globen befinden sich Wesen, die in unterschiedlichen Entwicklungsstadien auf ihre Erweckung zu warten scheinen. In den Arbeiten „Freier Fall“ schweben sie schließlich frei im Raum und werden von verschiedenen Sphären angezogen. „Ein Vergleich mit Darstellungen des ‚Jüngsten Gerichts‘ drängt sich auf, mit dem Unterscheid, dass sich in der kunsthistorischen Tradition das Auf- und Absteigen der Seelen nach eindeutigen Regeln vollzieht“, sagt Museumsleiterin Dr. Jutta Moster-Hoos.
„Das Universum mit seinen Weiten und Geheimnissen übersteigt die menschliche Vorstellungskraft und übt eine große Faszination aus. Mit ihren Zeichnungen versetzt Nanne Meyer uns ins Staunen. In ihren Arbeiten steckt jedoch mehr als bloß der bewundernde Blick ins Weltall“, erläutert Jutta Moster-Hoos. So eröffnet Nanne Meyers Liebe zur Sprache in vielen ihrer Werke eine zweite Ebene. Buchstaben und Wörter spielen im Kontext des überAlls eine wichtige Rolle, beispielsweise in den großformatigen Zeichnungen „Versteckte Texte“. Von Weitem betrachtet scheint man in ferne Galaxien im schwarzen Nachthimmel zu blicken. Geht man nah ans Bild heran, entpuppen sich die Sterne als winzige Buchstaben, mit weißem Stift gezeichnet und auf schwarzem Grund verstreut. Sie ergeben jedoch keine Worte und so stellt sich die Frage, ob im Universum womöglich noch andere als die menschlichen Sprachen existieren. Der Titel „Versteckte Texte“ deutet zudem an, dass hier eine Botschaft verborgen ist. Tatsächlich ist in jeder Zeichnung der gesamte Buchstabenvorrat eines Textes versammelt, so aus der Genesis der Bibel oder aus der Himmelskunde des Vorsokratikers Anaximander.
Die 1953 in Hamburg geborene und vielfach ausgezeichnete Künstlerin Nanne Meyer lebt und arbeitet in Berlin. In immer neuen künstlerischen Strategien und unterschiedlichsten Spielarten variiert sie ihre Möglichkeiten auf Papier. Dabei zeichnet sie mit Blei- und Farbstift, Wachs- und Ölkreide, Kugelschreiber, Acryl und Tinte, Pastell, Gouache und Dispersionsfarbe und collagiert die unterschiedlichsten Zeichengründe und Materialien: von Karteikarten über Büchern bis hin zu historischem Kartenmaterial. „Nanne Meyers Arbeiten zeigen das unendliche Spektrum zeichnerischer Möglichkeiten und wir sind glücklich, mit ihr in unserem Museum einen Blick ins Universum werfen zu dürfen“, so Moster-Hoos. Die in der Ausstellung „überAll“ präsentierten Werke stammen überwiegend aus den vergangenen drei Jahren und werden auf zwei Etagen des Hauses gezeigt. Wer von Zuhause aus in Nanne Meyers Universum eintauchen möchte, wird auf ihrer Homepage (http://nannemeyer.de/DE/Zeichnungen/Universum/) fündig. Im Original sind ihre Werke bis zum 15. Mai im Horst-Janssen-Museum in Oldenburg zu sehen. Der Eintritt ist frei.
Eröffnung
Die Ausstellung „überAll“ wird am Samstag, 29. Januar, um 19 Uhr im Beisein der Künstlerin eröffnet. Geplant ist ein Podiumsgespräch zwischen Museumsleiterin Dr. Jutta Moster-Hoos, der Künstlerin Nanne Meyer und der aus Oldenburg stammenden Astrophysikerin Dr. Sibylle Anderl, die das Wissenschaftsressort der FAZ leitet. Die Vernissage ist bereits ausgebucht, da die Teilnehmerzahl coronabedingt begrenzt ist. In Zusammenarbeit mit dem Lokalsender oeins findet jedoch ein Live-Stream der Eröffnung statt; der Link zum Stream wird auf der Webseite www.horst-janssen-museum.de bekannt gegeben.
Das Kunstdeuter-Projekt
In allen Werken Nanne Meyers ist der Mensch der Bezugspunkt, denn auch die Astrophysik ist und bleibt ja eine Wissenschaft, die aus menschlicher Perspektive ins All blickt. Und so hat die Vermittlung des Horst-Janssen-Museums zu dieser Ausstellung ein neues museumspädagogisches Format entwickelt, bei dem das Ich mit allen seinen Fragen im Mittelpunkt steht. Einige Monate vor Ausstellungsbeginn hat das Museum Menschen zwischen 8 und 99 Jahren dazu aufgerufen, sich als Kunstdeuter/in zu bewerben. Fachliche Voraussetzungen gab es keine. Unter Fragestellungen wie „Was ist Kunst? Wie entsteht sie? Was hat das mit mir zu tun?“ tauchten sie – Forschungsreisenden gleich – in zwei Workshops tief in das Werk von Nanne Meyer ein. Während der Ausstellung haben die Museumsgäste nun am 5. Februar und am 26. März, um 14 und 16 Uhr, Gelegenheit, sich von den Kunstdeuter/innen von der Forschungsreise berichten und sich von ihnen durch die Ausstellung führen zu lassen.
Künstlerbuch
Zur Ausstellung erscheint ein umfangreiches Künstlerbuch, das mit dem Titel „Meyers Handbuch über das Weltall“ Bezug auf das gleichnamige von 1960 bis in die 1980er Jahre erschiene Lexikon nimmt, und der Versuch einer Annäherung an das unendliche Weltall ist. Neben Zeichnungen Nanne Meyers aus den letzten Jahren sind Gedanken aus Wissenschaft, Philosophie und Literatur eingeflossen. Das Künstlerbuch erscheint im Verlag Hatje-Cantz, Berlin, und ist für 23 Euro im Museumsshop sowie für 28 Euro im Buchhandel erhältlich.
Förderung
Die Ausstellung wird gefördert von der LzO-Stiftung Kunst und Kultur und der Kulturstiftung Öffentliche Oldenburg. Medienpartner ist Radio Bremen Zwei.