Interview

Die Keynote Speakerin des 40. Kontaktpunkt Wirtschaft sprach mit uns über Tipps für Gründerinnen und Gründer, Leadership und Loyalität.

Prof. Dr. Anabel Ternès von Hattburg

Teil 1: Gründerinnen und Gründer

1. Was ist der Nr.-1-Tipp für junge Menschen, die heute gründen möchten?

Wenn ich jungen Gründerinnen und Gründern nur einen Rat geben dürfte, dann diesen: Bau zuerst deinen inneren Kompass – dann dein Unternehmen. Technologien, Märkte, Konjunkturen schwanken. Aber Klarheit über das eigene Warum, den eigenen Wert und die eigene Haltung ist die stabilste Ressource in Zeiten von Unsicherheit und Disruption. Wer seinen inneren Kompass schärft, kann auch im stärksten Sturm Kurs halten.

2. Was war eine wichtige Lektion, die Sie als junge Frau in der Wirtschaft früh gelernt haben?

Ich habe schmerzhaft gelernt, dass Stärken nur wirken, wenn man sie zeigt – und Grenzen nur schützen, wenn man sie setzt. Als junge Frau habe ich mich dem Druck der Familie gebeugt, statt zu führen. Irgendwann begriff ich: Mut entsteht nicht, wenn man keine Angst hat, sondern wenn man trotz Angst handelt. Diese Erkenntnis hat mein Leben – und meine Führungsarbeit – radikal verändert.

3. Was ist für Gründerinnen und Gründer wichtiger – ein starkes Team oder ein gutes Netzwerk?

Ein Netzwerk öffnet Türen. Ein Team trägt dich hindurch. Netzwerk ist Momentum – Team ist Ausdauer. Wenn du nur eines haben kannst: Wähle das Team. Denn ein gutes Netzwerk ist laut. Ein starkes Team ist loyal.

4. Wenn Sie auf Ihre eigenen Gründungen zurückblicken – was würden Sie mit dem Wissen von heute anders machen?

Ich würde früher loslassen. Früher delegieren. Früher vertrauen. Und ich würde mir erlauben, meine Vision groß zu denken, ohne sie kleinzurechnen, um in bestehende Raster zu passen. Wir unterschätzen oft, was möglich wird, wenn wir Grenzen nicht als Warnsignal, sondern als Einladung zum Wachsen sehen.

Teil 2: Leadership und Loyalität

1. Welche typischen Fehlannahmen begegnen Ihnen in Unternehmen, wenn es um Loyalität geht?

Die größte Fehlannahme ist, Loyalität ließe sich kaufen – mit Benefits, Boni oder hübschen HR-Programmen. Loyalität ist keine Währung. Loyalität ist ein Gefühl. Und Gefühle entstehen durch Beziehungen. Mitarbeitende bleiben nicht wegen Obstkörben. Sie bleiben, weil sie gesehen, gehört und gebraucht werden.

2. Welche Gruppen oder Persönlichkeiten werden beim Thema Loyalität häufig übersehen?

Oft übersehen Unternehmen die Stillen: Diejenigen, die nicht laut auftreten, aber jeden Tag das Team stabilisieren. Die integrieren statt dominieren. Die zuhören, bevor sie sprechen. Loyalität hat selten ein Megafon – aber immer eine enorme Wirkung. Diese „leisen Leistungsträgerinnen und Leistungsträger“ sind die unterschätzten Säulen jedes Teams.

3. Wie verändern Remote Work und flexible Arbeitsmodelle die Entstehung von Loyalität?

Wir erleben gerade die größte Verschiebung von Arbeitskultur seit der Industrialisierung. Früher entstand Loyalität durch Präsenz. Heute entsteht Loyalität durch Relevanz. Remote Work zwingt Führungskräfte, Vertrauen zu schenken, bevor es verdient ist – und genau das schafft die stärkste Form von Bindung: psychologische Sicherheit.

4. Wie wird sich Mitarbeitendenbindung in den nächsten Jahren verändern?

Loyalität wird fluider, dynamischer und bewusster. Mitarbeitende entscheiden sich nicht mehr für ein Unternehmen, sondern mit einem Unternehmen – auf Zeit. Die Frage der Zukunft lautet nicht: „Wie halten wir sie?“ Sondern: „Wie schaffen wir ein Umfeld, in dem Menschen bleiben wollen – auch wenn sie nicht müssen?“ Unternehmen sollten sofort beginnen, Führungskräfte darauf vorzubereiten: Empathie ist keine „Soft Skill“. Sie ist Infrastruktur.

5. Welche Zukunftsthemen bewegen Sie aktuell besonders – und warum?

Mich beschäftigt derzeit vor allem, wie wir Menschen befähigen, in einer Welt zu bestehen, die schneller denkt, als wir reagieren können. KI verändert nicht nur Geschäftsmodelle, sondern Identitäten. Meine zentrale Frage lautet daher: Wie bleiben wir als Menschen handlungsfähig, sichtbar und wirksam – in einer Zukunft, die radikal technisiert ist? Denn Zukunftskompetenz bedeutet nicht, Maschinen zu verstehen. Sondern uns selbst.

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Zuletzt geändert am 4. Dezember 2025