Mitschrift zur Podcast Episode 13
Jubiläumsaktion 15 Jahre Integrationspreis
Claudia Wronna: Herzlich willkommen zu unserem Podcast „hörbar vielfältig“, den wir anlässlich des 15-jährigen Jubiläums des Integrationspreises der Stadt Oldenburg aufgenommen haben. In den 15 Jahren sind zahlreiche Projekte, Vereine und Initiativen mit diesem Preis ausgezeichnet und gewürdigt worden und wir wollen euch eine große Anzahl davon vorstellen. Wir haben nachgefragt, wofür sie damals den Integrationspreis gewonnen haben, was für besondere Erlebnisse bei Ihnen hängengeblieben sind und wie es ihnen heute geht. Wenn euch also interessiert, was Oldenburg zwischen 2010 und 2025 an Projekten ausgemacht hat, die sich für Chancengleichheit und Teilhabe von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte sowie für solidarisches Miteinander einsetzen, dann horcht rein in die jeweils circa zehn minütigen Podcasts von „hörbar vielfältig.“ Viel Spaß dabei.
Claudia Wronna: Hallo und herzlich willkommen! Heute habe ich Malak Kadour und Carsten Lienemann hier bei mir zu Gast. Ihr seid im Jahr 2022 mit dem Oldenburger Integrationspreis ausgezeichnet worden für das Buchprojekt Zwischen Hin und Her. Meine Flucht aus Syrien. Erstmal kurz zu dir, Malak. Magst du dich einmal vorstellen? Und wie bist du auf die Idee gekommen, ein Buch zu schreiben?
Malak Kadour: Ja, hallo. Schön, dass ich hier sein darf. Mein Name ist Malak Kadour. Ich bin jetzt schon 17 Jahre alt und eigentlich hat alles angefangen in einem Klassenzimmer in der achten Klasse, als ich 14 war, wo wir die Hausaufgabe gekriegt haben, unsere Memoiren aufzuschreiben. Und ich hatte immer schon den Wunsch in mir, über das, was mir widerfahren ist, zu sprechen. Über meine Kindheit, über meine Vergangenheit, über Syrien, wie ich geflüchtet bin nach Deutschland. Und erst als ich 14 war, erkannte ich überhaupt, was passiert war. Weil davor wusste ich es wirklich nicht. Was oder, dass man es überhaupt Flucht nennen kann und dass es eine Flucht war. Weil meine Eltern hatten mir immer erzählt, wir gehen auf Reisen und plötzlich ist die Reise doch eine Flucht und ich ging nie wieder zurück. Und ich werde auch wahrscheinlich nie mehr zurückgehen können. Und ich wollte aber die Gesichter und die Stimmen meiner Verwandten und Freunde festhalten, die ich nie wieder danach gehört hatte, nachdem wir geflohen sind. Und ich war so sauer auf mich selber, dass ich es wagte, hier in Deutschland glücklich zu sein und sie dann zu vergessen. Meine Verwandten und meine Freunde, die dort immer noch in Syrien gelebt haben, leben und die immer noch unter diesem Terror und dem Krieg leben müssen. Die Hausaufgabe sollte eigentlich nur 4 Seiten umfassen, aber ich habe am Ende ein ganzes Buch geschrieben, zusammen mit meiner Nachhilfelehrerin, die mir geholfen hat. Als ich den Beginn und das Ende meiner Geschichte (damals war es noch kein ganzes Buch) in der Klasse vorgelesen habe, fing ich an zu weinen, fingen meine ganzen Klassenkameraden an zu weinen und auch meine ach so strenge Klassenlehrerin. Im Anschluss haben wir einen Spaziergang gemacht und da kam die Idee von meiner Lehrerin auf „hey, warum schreibst du nicht ein ganzes Buch drüber?“ Und dann hatte mir eine andere Lehrerin, die ich aus die ich aus dem Flüchtlingslager in Oldenburg kannte, Carsten und den Buchverlag vorgestellt.
Claudia Wronna: Und so seid ihr zueinandergekommen. Also erstmal war ganz viel Vorarbeit bei dir in deinem Kopf, über diese ganzen Emotionen und Gefühle und Begebenheiten, die da passiert sind, auf der Flucht und beim Ankommen hier. Und dass die Jugendlichen in deiner Klasse dann so emotional reagiert haben, hat Dir wahrscheinlich auch dir total viel Mut und Motivation gegeben, und gezeigt, dass das offenbar sehr gut war, was du da geschrieben hast. Und dann dazu beigetragen, da noch was viel Größeres draus zu machen. Und dann bist du – Carsten - ins Spiel gekommen. Wie genau ist denn der Kontakt zustande gekommen?
Carsten Lienemann: Ich hatte schon länger Kontakt zu Annegret Meyer von der IGS Flötenteich, die Lehrerin, von der Malak jetzt gerade gesprochen hatte. Die hat mir das Manuskript zugesandt, nach dem Motto „ich habe hier eine Schülerin, die hat ein Buch geschrieben und ihr habt ja einen Verlag. Guck dir das doch mal an!“ Dann habe ich ein paar Szenen gelesen, unter anderem eine Szene, da war Malak sechs Jahre alt. Diese Sternengeschichte, wo ihr nachts draußen gespielt habt und den Sternenhimmel beobachtet habt. Und ich habe diese Szene gelesen und mir kam echt eine Gänsehaut. Das war eine unglaublich schöne Szene, erlebt von einer 6-jährigen, geschrieben von einer 14-jährigen. Und ich habe mich gefragt, wo nimmt die diese Kraft, diese Poesie her, dieses Sprachbild? Als es kitschig zu werden drohte, kippte das Ganze auf eine wunderbare Weise, und ich dachte, das Buch muss ich verlegen, und ich habe mich dann dahintergeklemmt. Und ja, es hat ja zum Glück geklappt und wir haben dann ein erfolgreiches Projekt draus gemacht.
Claudia Wronna: Du sagtest, das Buch muss ich verlegen. Magst du noch zwei Sätze dazu sagen? Was für einen Verlag habt ihr? Welchen Hintergrund hast du?
Carsten Lienemann: Ja, der Global Music Player Verlag ist gegründet worden aus dem Verein Global Music Player, weil wir Projekte in Schulen und Kindergärten gemacht haben und festgestellt haben, wenn wir damit durch sind, dann landet es in der Schublade. Und das ist einfach zu schade. Wir können Vorlagen liefern für andere Schulen, andere Einrichtungen, das selber nachzumachen und anzupassen oder auch eins zu eins zu übernehmen. Und so ist der Verlag entstanden.
Claudia Wronna: Da hattest du offenbar einen richtig guten Riecher, denn aus diesem Buch ist ein großer Erfolg geworden. Wie viele Exemplare habt ihr drucken lassen und wie viel davon sind denn noch da?
Carsten Lienemann: Also wir haben angefangen mit 750 Exemplaren, die waren innerhalb von drei Jahren glaube ich weg und jetzt haben wir noch mal 200 nachdrucken lassen und ich habe davon noch einen Karton übrig. Sprich so ungefähr 25 Exemplare. Es sind ein paar Werbeexemplare davon weggegangen, aber der Großteil davon ist wirklich verkauft.
Claudia Wronna: Ja, es ist super gut angenommen worden. Wie habt ihr das Buch vermarktet? Also gab es rundherum Aktionen, die ihr gestartet habt, um in die Öffentlichkeit zu gehen?
Claudia Wronna: Ja, wir haben natürlich eine Pressekonferenz gemacht, wo wir die lokale Presse eingeladen haben. Es gab, das war wiederum von Annegret Meyer angeregt, eine Lesung an der Schule. Da war quasi, ich würde sagen, die gesamte Schule da. Und mir war auch klar, wir müssen an die Öffentlichkeit, wir müssen weitere Lesungen machen. Ich hatte ein paar Kontakte und irgendwann kamen dann auch Anfragen. Wollt ihr nicht auch zu uns kommen? Wir sind inzwischen an mehreren Schulen gewesen, teilweise vor hunderten von Schülerinnen und Schülern. Das war für Malak überhaupt kein Problem, auch wenn sie am Anfang sehr nervös war. Ja, so hat sich das einfach rumgesprochen. Es ist also sehr viel über persönliche Kontakte, über Mund zu Mund Propaganda bekannt geworden.
Claudia Wronna: Malak, wie waren die Reaktionen aus deinem Bekanntenkreis, aus der Familie, aus dem Freundeskreis?
Malak Kadour: Zum Beispiel jetzt mit meiner Familie… Am Anfang waren meine Eltern sehr besorgt, besonders deswegen, weil ich über das Regime in Syrien erzähle. Und die hatten einfach Angst, dass Leute, die hier in Deutschland leben, die für ihn arbeiten, das nicht so gut finden und dass Menschen nicht so offen darauf reagieren. Und dass ich sehr viel - so würde ich sagen - Hass bekomme. Und die hatten einfach Sorge um mich, um ihr Kind, dass es jetzt in der Öffentlichkeit steht. Und sie meinten auch immer „Hey, lass doch einfach die Vergangenheit zurück. Das ist etwas, was passiert ist.“ Sie haben immer ihr Bestes gegeben, mich vor allem zu schützen. Mich und meine Brüder. Ich meine, mein kleinster Bruder war zwei Jahre alt, auf der Flucht. Mein mittlerer Vier. Und ich war ja auch erst Acht. Und Sie haben immer ihr Bestes versucht, damit wir so gut wie gar nichts davon mitbekommen, was außen rum passiert. Aber ich habe mehr mitbekommen. Und ich konnte das nicht loslassen. Ich konnte es nicht einfach wegwerfen und einfach weitergehen, weil das einfach nicht nur eine Vergangenheit für mich war, sondern auch meine ganze Kindheit. Und ich bin da aufgewachsen und das ist ein Teil von mir und auch meine Familie in Syrien. Und die Kultur und alles. Und wir sind jetzt – so würde ich sagen - eine deutsch-arabische Familie. Als sie gesehen haben, wieviel mir das bedeutet, haben sie mich sehr damit unterstützt und sehr viel für mich getan und mir immer gut zugesprochen. Und auch meine Freunde waren am Anfang total überrascht, weil unter Freunden redet man nicht so wirklich darüber. Auch nicht mit Freunden, die ebenfalls geflüchtet sind. Da reden wir nicht so wirklich drüber. Und als sie gehört haben, ich schreibe ein ganzes Buch drüber, sagten sie „Was? Leute wollen uns zuhören?“, und sie waren so energisch. Und auch als ich die Lesung in meiner Schule hatte, waren die so dabei und haben mich so unterstützt und mir so viel Gutes gewünscht. Und alle standen mir bei und es war für mich so was wie eine Art Therapie, in der ich alles, was ich erlebt habe, verarbeitet habe.
Claudia Wronna: Es freut mich sehr, dass du da so gute Erfahrungen gemacht hast, dass das so gut gelaufen ist. Und das ist ja jetzt schon drei Jahre her und offenbar hallt das immer noch nach. Habt ihr denn noch weitere Projekte, die ihr mit dem Buch plant oder andere Ziele?
Carsten Lienemann: Das nächste, was jetzt kommt, ist eine Lesung in Reutlingen am 25. Juni. Da ist Malak eingeladen zu einer Lesung als Abschlussveranstaltung für eine Kunstausstellung. Und das ist ja schon ein ganzes Stück Weg von Oldenburg.
Claudia Wronna: Das ist Wahnsinn. Ja, das ist bei Stuttgart.
Carsten Lienemann: Ja, das nächst größere wird dann im April 2026 passieren. Da soll oder will das Staatstheater in der Sparte sieben, also in der ganz kleinen Abteilung, das Stück auf die Bühne oder das Buch auf die Bühne bringen!
Claudia Wronna: Wow. Klasse.
Carsten Lienemann: Ja, da steckt sicherlich noch einiges mehr drin. Ansonsten ja, Ideen haben wir schon, aber noch nicht ausgegoren ist. Also Malak ist ja nun gerade auch erst aus Irland wiedergekommen. War fünf Monate da.
Claudia Wronna: Und muss nebenbei ja auch noch zur Schule gehen …
Carsten Lienemann: Genau, das Abitur möchte sie ja auch noch machen.
Malak Kadour: Alles gut. Ich kann mir ja auch ein bisschen Urlaub drum herum nehmen. Als ich in Irland war, hatten wir das Buch vorher auf Englisch übersetzt gehabt. Ich habe da in meiner Gastfamilie gelebt und die Mutter hat mich da ganz viel dabei unterstützt. Die Grundübersetzung hatte Carsten davor gemacht und dann bin ich mit meiner Gastmutter noch mal drüber gegangen und haben das dann auch dort veröffentlicht, auf Englisch. Das war schön.
Claudia Wronna: Klasse. Also du bist ganz rührig Malak und bringst so viel Energie mit. Das finde ich total klasse. Meine letzte Frage wäre „Welche Botschaft, welchen Wunsch habt ihr für die Zukunft?“
Malak Kadour: Ja, also mein Vater war zum Beispiel jetzt in Syrien und hat es besucht und er hat uns ganz viele Videos geschickt und hat uns ganz viel davon erzählt, wie es jetzt dort ist und aussieht, nach der Befreiung. Und da konnte ich es endlich wieder sehen… das Haus, das Prinzessinnen-Haus, von dem ich in meinem Buch geschrieben hatte, den Bauernhof meiner Oma und man konnte sehen, wie alles in Trümmern lag, auch die Schulen. Und da wuchs unser Wunsch für die Zukunft, zu helfen, das alles wieder aufzubauen. Ich komme aus einem kleinen Dorf in der Nähe von Idlib. Und wir wollen dort den Menschen helfen, nicht nur da, sondern überhaupt in Syrien bei dem Aufbau. Und dass wir, wie schon gesagt, als syrisch deutsche Familie gerne Menschen, die Hilfe brauchen, unterstützen. Und ich weiß noch nicht, wie ich das erreichen kann. Aber ich weiß, dass ich jede Unterstützung brauche, die ich bekommen kann. Und mit der richtigen Unterstützung können wir auch vielleicht als Familie dieses Ziel erreichen. Jetzt ist es nicht nur etwas für mich, sondern es ist etwas für meine Familie, ein Stück Kraft, die sie stützt, um endlich auch deren Wünschen nachzugehen. Jetzt können sie endlich ihren Familien helfen, sie haben die ganzen neun Jahre hier ausgeharrt in Deutschland. Und ich hoffe, dass ich bei der Verwirklichung dieses Ziels die Unterstützung erhalte von beiden Ländern und Kulturen, um die Kulturen von Deutschland und Syrien zu verbinden. Genauso wie es in mir drin schon geschehen ist.
Claudia Wronna: Das ist ein ganz toller Wunsch und du hast ja mit 14 schon so viel geschafft. Also du bist da glaube ich, ein gutes Vorbild. Ein tolles Vorbild für ganz viele. Und bringst da so viel Überzeugungskraft auch für andere ein. Schön, dass du das nutzt, diese Öffentlichkeit, die du jetzt hast und ich wünsche dir dabei alles Gute und ganz viel Erfolg. Carsten, hast du auch noch einen Wunsch oder eine Botschaft?
Carsten Lienemann: Ja, also in diesem Zusammenhang möchte ich einfach meinen kleinen Teil dazu beitragen, dass diese Geschichte weiter zu verbreiten. So wie Malak es immer wieder sagt, diese unsinnige Mauer zwischen in Anführungszeichen Ausländern und Deutschen einzureißen oder zumindest auf der Mauer drauf fröhlich zu tanzen, wie du es immer so schön sagst. Und diese Widerstände zu überwinden. Wenn das gelingt. Ich glaube, dieses Buch kann einen großen Teil dazu beitragen und Malak sowieso. Wo Malak auftritt, ist sie im Mittelpunkt und man hört ihr zu. In den Schulen hören ihr selbst die größten, schwierigsten Schüler zum Erstaunen ihrer Lehrerinnen und Lehrer zu, wenn Malak erzählt und liest. Und das ist, glaube ich, ein Weg zu, ja zu mehr Frieden in der Welt. Das wäre tatsächlich schön.
Claudia Wronna: Und wer das Buch noch nicht gelesen hat und lesen möchte, es heißt Zwischen hin und her meine Flucht aus Syrien. Und man findet es im Internet.
Carsten Lienemann: Im Internet, unter globalmusicplayer.com ».
Claudia Wronna: Wunderbar. Ich freue mich, dass ihr hier wart und wünsche euch alles Gute weiterhin.
Carsten Lienemann und Malak Kadour: Danke schön.
Claudia Wronna: Dies war ein Podcast aus der Reihe „hörbar vielfältig.“ Dies ist ein Projekt des Fachdienstes Integration im Amt für Zuwanderung und Integration der Stadt Oldenburg. Aufnehmen durften wir den Podcast in der Freizeitstätte Bürgerfelde und bedanken uns insbesondere bei Nils Naumann und Felix Klostermann für die technische, herzliche und vor allem unkomplizierte Unterstützung. Hört gerne noch in unsere weiteren Podcastfolgen hinein, diese findet ihr hier. »
Zuletzt geändert am 8. Juli 2025