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Künstliche Intelligenz (KI) verändert die Arbeitswelt grundlegend. Vier Beispiele aus Oldenburg zeigen, wie Betriebe mit Weitblick neue Technologien nutzen und so ihre Abläufe optimieren.
So hilft uns Künstliche Intelligenz
Delia Jersch zeigt sich beeindruckt: „Die neue Technik erleichtert unsere Arbeit enorm – besonders beim Aufmaß.“ Für die Bauleiterin im Malerbetrieb ihres Vaters und Onkels bedeutet das vor allem eines: Zeitersparnis. „Innerhalb weniger Minuten haben wir ein komplettes Einfamilienhaus vermessen und exakt ermittelt, welche Flächen bearbeitet werden müssen.“ Diese Daten bilden die Grundlage für eine präzise Planung, Kalkulation und Abrechnung.
Das Familienunternehmen Jersch setzt mit „Propeye“ auf eine innovative App, die mithilfe Künstlicher Intelligenz (KI) das Scannen von Wohnungen und Gebäuden per Smartphone ermöglicht. So lassen sich innerhalb kürzester Zeit Grund- risse, Wohnflächenberechnungen und 3D-Modelle erstellen. Türen und Fenster werden dabei automatisch von der KI erkannt. „Trotz unserer über hundertjährigen Firmengeschichte sind wir grundsätzlich offen für neue Technologien“, erklärt Delia Jersch. Propeye wurde von Jochen Egbers und Robin Dario Schmidt aus der Grafschaft Bent- heim entwickelt; beide nahmen 2024 am 13. Batch des Oldenburger GO! Start-up Zentrums teil.
Die Aufmaß-App zeigt, wie KI in immer mehr Branchen Einzug hält. Malerbetrieben wie dem der Familie Jersch bietet sie Chancen, Abläufe zu optimieren und sich am Markt zu behaupten. Schon lassen sich durch die Analyse von Kundendaten individuelle Farbkonzepte erstellen. Roboter sorgen für eine gleichmäßige Farbverteilung. Sensoren erken- nen Unregelmäßigkeiten frühzeitig und korrigieren sie automatisch. „Wir sind gespannt, was die Zukunft bringt“, sagt Delia Jersch.
Vorteil Vereinheitlichung
Laut Statistischem Bundesamt setzt heute rund jedes fünfte Unternehmen in Deutschland auf Künstliche Intelligenz. Bei größeren Betrieben wie der BÜFA-Gruppe – mit 770 Beschäftigten an 17 Standorten – liegt der Anteil sogar bei knapp 50 Prozent. Qualitätsmanager Martin Päßler und sein Team haben begonnen, mithilfe eines interaktiven Managementsystems auf Wiki-Basis mit integrierter KI die Dokumente weiter zu standardisieren.
Die BÜFA-Gruppe hat rund 2.700 Dokumente, ein erheblicher Teil basiert auf unterschiedlicher Verwendung von Dokumentenvorlagen. „Oft passten die Textbausteine nicht zusammen, oder die Grafiken entsprachen nicht den gültigen Normen“, berichtet Päßler. Unterstützt wurde er von einer KI, die auf unklare oder missverständliche Formulierungen hinwies – zum Beispiel bei der Frage, zu welchem Zeitpunkt Arbeitshandschuhe angezogen werden müssen. „Solche Irrtümer entstehen oft, wenn Arbeitsbeschreibungen von Personen stammen, die seit Jahren mit den Abläufen vertraut sind, und sich daher nur schwer in die Perspektive neuer Mitarbeitender hineinversetzen können.“
Im Einkauf setzt BÜFA auf die von einem Bonner Start-up entwickelte Software „kiresult“. Sie analysiert automatisch Rechnungs- und Bestelldaten, ordnet sie Waren- gruppen zu und unterstützt die Standardisierung der Lieferantenstammdaten. Über 50 vordefinierte Kennzahlen ermöglichen einen Überblick über alle Einkaufsaktivitäten und ihre Performance. „98 Prozent unserer globalen Ausgaben sind Warengruppen zugeordnet. Das schafft Transparenz über sämtliche Unternehmensausgaben und ist Basis für datenbasierte strategische Entscheidungen“, erläutert Einkaufsleiterin Jasmin Bäumer.
„KI wird die Welt mehr verändern als Elektrizität.“
Zitat: Andrew Ng, Mitgründer von Google Brain
Zettelwirtschaft adé
Ortswechsel. 2026 feiert der Oldenburger Fliesenfachbetrieb Bohlken 50-jähriges Bestehen. Doch wer denkt, das Familienunternehmen würde vor allem zurückschauen, irrt: Stefan Bohlken, der heutige Inhaber und Sohn des Firmengründers Egon Bohlken, blickt lieber nach vorn. Der Fliesenlegermeister hat den digitalen Wandel mit Nach- druck vorangetrieben. Seit fünf Jahren arbeitet er im Büro fast vollständig papierlos. „Unsere Prozesse laufen durchgängig digital. Das spart Zeit, Papier und Nerven“, sagt Bohlken.
Statt beim Erstkontakt direkt zur Baustelle zu fahren, setzt Bohlken auf ein smartes Kontaktformular auf der Website. Interessierte können dort Wünsche und Raumfotos hochladen. Das Formular hat eine Schnittstelle zu „Hero“, seiner zentralen Software. Per Smartphone, Tablet und Laptop hat er stets Zugriff auf relevante Infos. Und er denkt schon weiter: Ein Preiskonfigurator oder KI-gestützte Bildanalysen zur Ermittlung von Materialmengen sind für ihn durchaus denkbar. Zukunftsmusik? „Nein, Handwerk im digitalen Zeitalter“, sagt Bohlken. Er geht auch davon aus, „schon bald mit der Software sprechen und ihr Anweisungen geben zu können“. Die KI transkribiert die Informationen dann automatisch und führt komplexe Befehle direkt aus.
Grundsätzlich ist es Stefan Bohlken ein wichtiges Anliegen, seine Ideen und Erfahrungen weiterzugeben und damit Impulse für die Zukunft des Handwerks zu setzen. So berichtete er im Juni auf dem 3. Brandenburger-Berliner Fliesenlegertag in der Hauptstadt praxisnah über den digitalen Arbeitsalltag und seinen persönlichen Abschied von der lang gepflegten Zettelwirtschaft.
Chefsache Implementierung
Anfang 2020 gründeten Aaron Brück und Philipp Boros in Oldenburg die Seals Group. „Wir unterstützen Stadtwerke und Energieversorger mit Vertriebs- und Marketingdienstleistungen sowie gezieltem Coaching“, sagt Brück. Ohne KI-gestützte Prozesse gehe das nicht mehr, fügt er an. „Sie befreit uns von lästigen Arbeiten und eröffnet neue Chancen.“ So entsteht etwa aus einem einzigen Podcast ein kompletter Redaktionsplan – inklusive Blogartikeln, Website-Texten, Bausteinen für Präsentationen und Beiträgen für das Fachmagazin „Stadtwerke“.
Brück mahnt jedoch zur Vorsicht gegenüber überzogenen Erwartungen an die KI. „Sie bleibt ein unterstützendes Werkzeug – hilfreich, um Routineaufgaben zu automatisieren und Abläufe zu optimieren.“ Menschen könne sie keinesfalls ersetzen; aber sie eröffne Möglichkeiten, menschliche Stärken noch gezielter einzusetzen und kreatives Potenzial zu entfalten.
Der Branchenexperte ist überzeugt: Unternehmen laufen Gefahr, den Anschluss zu verlieren, wenn sie jetzt nicht aktiv auf KI setzen. Die strategische Einführung müsse daher zur Chefsache erklärt werden. „Zentrale Aufgabe des Unternehmers ist es, die Zukunftsfähigkeit seines Unternehmens zu sichern“, betont er. Und das heißt, durch neue Technologien einen Innovationsvorsprung zu erarbeiten. Denn: „Was ich heute kann, wird morgen vermutlich nicht mehr benötigt.“
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Zuletzt geändert am 3. November 2025



