3.21: Interview mit Erfolgsautor Frank Dopheide

„Gott ist ein Kreativer – kein Controller“

Wider die unmenschlichen Zielbilder

Frank Dopheide wendet sich in seinem Buch „Gott ist ein Kreativer – kein Controller“ gegen das Zahlendenken in den Chefetagen. Der Chef der Düsseldorfer Agentur Human Unlimited empfiehlt, eher die Menschen zu lieben.

Für das Oldenburger Wirtschaftsmagazin 3.22 erläutert er seine Aussagen.

Was haben Sie gegen Zahlen?

Zahlen sind zum Fetisch geworden. Die Planvorgabe zu erreichen ist das Ziel aller Ziele, koste es, was es wolle. Das hat dramatische Auswirkungen. Wir überfordern die Zahlen, vergiften unser Denken und bringen Unternehmen und Menschen in Gefahr. Jeder Manager ist heute überzeugt, er sei für die Zahlen verantwortlich. Falsch. Eine Führungskraft ist für die Menschen verantwortlich, die für die Zahlen verantwortlich sind.

Das klingt verdächtig nach einem Aber …

Das ist eine andere Jobbeschreibung. Bei genauer Betrachtung erkennen wir: Zahlen lassen sich addieren, subtrahieren und dividieren. Managen aber lassen sie sich nicht. Mit dem Diktat der Zahl wandert die Kreativität aus der Produktentwicklung und dem Marketing in die Finanzabteilung. Kein Land hat mehr CFOs auf den Chefsessel gehoben als Deutschland. Es werden immer kreativere Wege erfunden, die Zahl zu erreichen – meist auf Kosten der Kunden, der eigenen Mitarbeiter oder der nächsten Generation. Die Finanzabteilung versucht sich in der Magie der wundersamen Geldvermehrung: der Kunst, aus weniger (Mitarbeitern) mehr (Profit) zu machen. Manchmal auch abseits der legalen Wege – die Rückstellungen für juristische Auseinandersetzungen sind in den letzten Jahrzehnten massiv gestiegen.

Das heißt?

Wir brauchen ein gesundes Verhältnis zu Zahlen. Sie sind wichtig aber nicht das ultimative Ziel. Sondern das System, um zu prüfen, wie schnell, wie sicher, wie weit ein Unternehmen auf dem Weg vorankommt. So wie der Tacho, Drehzahlmesser, Abstandsmesser im Auto. Wenn die Zahl das Ziel wird, kommen wir schneller vom Weg ab. Fragen Sie Volkswagen oder die Deutsche Bank.

Wie lässt es sich erreichen, dass es an den Spitzen der Unternehmen kreativer zugeht?

Wir erleben es gerade. Wenn die etablierten Erfolgsrezepte der letzten Jahrzehnte nicht mehr funktionieren, eine neue Technologie alles auf den Kopf stellt und sich die Wertewelt einer Gesellschaft ändert, dann müssen sich Unternehmen und ihr Spitzenpersonal etwas einfallen lassen. Wir können jede Branche abgehen und erkennen, die alten Zeiten sind vorbei. Transformation ist der falsche Begriff, es sollte Schmerztherapie heißen. Die macht niemand freiwillig, sondern wenn der Druck größer ist als das Ego und die Beharrungskräfte der eignen Organisation. Wir haben in unserer Sprache die wundervollen Worte Vorstellungsvermögen und Ideenreichtum – sie sind der Anfang von allem. Deutschland war einmal das Land der Erfinder und Unternehmen, bevor wir zum Land der Optimierer geworden sind. Der Druck von allen Seiten wird die Phantasie beflügeln.

Sie propagieren mehr Menschlichkeit in Unternehmen. Warum fehlt es daran?

Wir haben mit dem Organigramm ein unmenschliches Zielbild etabliert und Mitarbeiter zum human capital degradiert. In den letzten Jahrzehnten wurde das Hohelied der Optimierung und Effizienzsteigerung gesungen und der sichtbarste Weg dorthin waren Personalabbau oder Outsourcing. Heute fühlen sich nach Gallup-Studien 87 Prozent der Mitarbeiter nicht mehr ihrem Unternehmen verpflichtet. Das „innere Vermögen“ des Unternehmens wird gar nicht mehr aktiv.

Wie wichtig ist es, dass Unternehmen eine Geschichte zu erzählen haben?

Wäre Moses mit zehn Powerpoint-Charts vom Berg Sinai gekommen, wäre die Entwicklung unserer Spezies anders verlaufen. Menschen sind seit hunderttausend Jahren trainiert, die Welt durch Geschichten zu verstehen. Sie helfen uns, komplexe Vorgänge zu begreifen und ein Gespür für unsere Zeit und den anderen zu entwickeln. Sie helfen uns, zu erkennen, was das Thema ist, in welchem Kapitel wir uns befinden und was die eigene Rolle innerhalb dieser Geschichte ist. Geschichten haben eine verbindende Kraft zwischen Unternehmen und Mitarbeitern, den Kunden und der Gesellschaft. Dabei spielen die Spitzen der Unternehmen eine herausragende Rolle, als Erzähler und Hauptfigur. Denn schon abertausend Jahre bevor wir die Zeitung erfunden hatten, konnte der Mensch in Gesichtern lesen. Wenn es zu kompliziert wird, greift dieser tief verankerte Reflex der Vereinfachung. Früher hieß es Management by walking around. Managment bei emailing around funktioniert nicht.

Corona verändert die Arbeitswelt radikal. Gilt das auch für das Denken in den deutschen Chefetagen?

Die Beharrungskräfte von Organisationen sind groß, auch in der Chefetage. Alle Systeme – Arbeitsverträge, Bonusregelungen, Personalentwicklungsprogramme, das interne Vorschlagswesen zur Produktinnovation und Co. – führen ein Eigenleben. Sie zu ändern, verlangt Kraft und Energie. Ausgerechnet die Managergeneration, die durch das System ganz nach oben gespült wurde, muss alles ändern: das Unternehmen, die Art zu arbeiten und sich selbst. Das ist schwer. Es gibt nur drei Wege es zu schaffen. Erstens die Nahtoderfahrung, als ultimativ letzter Versuch vor dem Aussterben. Zweitens das Orientieren an einem Vorbild, das es bereits geschafft hat. Und drittens das sehnsuchtsvolle Zielbild, für das es sich lohnt, die Schmerzen auf sich zu nehmen. In vielen Bereichen sehen wir Variante eins am häufigsten.

Zuletzt geändert am 23. November 2023